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| October 9, 2015

MwSt.-Befreiung für die Lieferung der Waren in einen anderen Mitgliedstaat gemäß einigen Schlussfolgerungen des Obersten Verwaltungsgerichts

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Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs kann die Befreiung eines Lieferanten bei einer Warenlieferung in einen anderen Mitgliedstaat auch im Falle eines nachfolgenden Steuerbetrugs anerkannt werden, und zwar unter der Voraussetzung, dass der Lieferant in gutem Glauben gehandelt hat und dass er alle zumutbaren Maßnahmen gefasst hat, die von ihm verlangt werden können, so dass die Erfüllungen, die er bewirkt hat, nicht zur Steuerhinterziehung führten. Der Europäische Gerichtshof betonte in diesem Zusammenhang, dass die Befugnis einer solchen Beurteilung der Umstände den nationalen Gerichten zusteht.

Dieser Artikel befasst sich mit der Frage der Beurteilung der Möglichkeit der Einhaltung der Befreiung bei einer Warenlieferung in einen anderen Mitgliedstaat im Falle eines nachfolgenden Steuerbetrugs, so wie sie seitens des Obersten Verwaltungsgericht der Tschechischen Republik betrachtet wird.

Befreiung bei einer Warenlieferung in einen anderen Mitgliedstaat

Die Richtlinie über die Mehrwertsteuer verpflichtet die Mitgliedstaaten der Europäischen Union zur Befreiung von der Mehrwertsteuer der Lieferung der Waren, die außerhalb deren Gebiets, und zwar auf dem Gebiet der Europäischen Union, abgesendet oder bereitgestellt wurden, und zwar unter der Voraussetzung, dass diese Warenlieferung für ein anderes Subjekt als den Steuerpflichtigen, das als solches in einem anderen Mitgliedstaat als im Staat der Aufnahme der Absendung oder Vorbereitung handelt, getätigt wurde.

Diese langwierige und komplexe Definition der Befreiung der Warenlieferung in einen anderen Mitgliedstaat kann (im Falle der Lieferung der Ware aus der Tschechischen Republik) mit folgenden drei Bedingungen, die kumulativ (d.h. alle Bedingungen gleichzeitig) erfüllt werden müssen, zusammengefasst werden:

  1. Die Ware muss einem Steuerpflichtigen geliefert werden;
  2. Die Ware muss vom Gebiet der Tschechischen Republik transportiert werden; und
  3. Die Ware muss auf dem Gebiet eines anderen Mitgliedstaats endgültig zugestellt werden.

Das tschechische MwSt.-Gesetz legt ähnliche Bedingungen wie die MwSt.-Richtlinie fest, nur mit dem Unterschied, dass das MwSt.-Gesetz die Verpflichtung festlegt, dass der Abnehmer eine in einem anderen Mitgliedstaat der EU zur MwSt. registrierte Person sein muss.  Es ist daher die Frage, ob die Nichterfüllung dieser Bedingung, d.h. der Bedingung, dass der Abnehmer eine in einem anderen Mitgliedstaat zur MwSt. registrierte Person ist (allerdings aber ein Steuerpflichtiger ist), die Grundlage für die Ablehnung der Befreiung der Warenlieferung in einen anderen Mitgliedstaat seitens des tschechischen Steuerverwalters darstellen kann und ob diese Argumentation überhaupt in einem Streitfall vor dem Europäischen Gerichtshof (weiter nur „EuGH“) anerkannt wird.

Das tschechische MwSt.-Gesetz sieht vor, dass die Befreiung der Warenlieferung in einen anderen Mitgliedstaat durch eine schriftliche Erklärung des Abnehmers oder einer bevollmächtigten dritten Person über den Transport in einen anderen Mitgliedstaat oder mittels anderer Beweismittel nachgewiesen werden kann. 

Allerdings ist es im Hinblick auf die kontinuierliche Rechtsprechung des Obersten Verwaltungsgerichts (weiter nur „NSS“) und des EuGH ersichtlich, dass die alleinige Einhaltung der oben angeführten Bedingungen nicht garantiert, so dass der Steuerverwalter die Befreiung der Warenlieferung in einen anderen Mitgliedstaat (z.B. in Fällen von vermuteter Steuerhinterziehung) anerkennen wird. 

Steuerhinterziehung

Das Mehrwertsteuersystem ist eines der wichtigsten Säulen der Finanzierung der öffentlichen Haushalte der Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Unter Berücksichtigung der jetzigen Verschuldung der meisten Mitgliedstaaten der Europäischen Union ist es ganz logisch, dass der Schwerpunkt in diesen Tagen in der Vermeidung und in der Verhinderung von Steuerhinterziehungen liegt.

Das sog. Karussell-Geschäft (auch als Karussellbetrug bekannt) ist ein typisches Beispiel der Steuerhinterziehung. Das Karussell-Geschäft kann vereinfacht als eine geschäftliche Handlung mehrerer Subjekte bezeichnet werden, die sich in verschiedenen Mitgliedstaaten befinden und die untereinander Waren, bei der Nutzung des Instituts der Befreiung der Lieferung in einen anderen Mitgliedstaat, verkaufen. Die Steuerhinterziehung entsteht im Zeitpunkt des ersten lokalen Verkaufs, d.h. in der Situation, wenn das Steuersubjekt am Anfang der Kette den Anspruch auf den MwSt.-Abzug aus dem Titel des Einkaufs der Waren geltend macht und nachfolgend die befreite Lieferung der Waren in einen anderen Mitgliedstaat aufweist, wobei diese Waren das Gebiet der Tschechischen Republik nie verlassen haben (oder wobei es diese Waren nie gab). In diesen Fällen erreicht das Subjekt am Anfang der Kette die Steuerhinterziehung in Form der Einnahme des übermäßigen MwSt.-Abzugs (die befreite Warenlieferung hat keine Auswirkung auf die Höhe der Steuer im Land des Lieferanten).

Die gleiche Steuerhinterziehung kann auch ein Subjekt, das sich mitten in der Kette befindet, erzielen, indem der Lieferant einen Steuerbeleg ohne MwSt. für dieses Subjekt ausstellt (z.B. ein Abnehmer beharrt auf der Befreiung aus dem Titel seines eigenen Warentransports in einen anderen Mitgliedstaat). In diese Situation kann fast jedes Steuersubjekt geraten, das als Lieferant auftritt und das z.B. im Rahmen der Bewahrung guter Geschäftsbeziehungen, der Erfüllung der jährlichen Pläne, des Erwerbs neuer Geschäftspartner etc., ohne Weiteres die Befreiung der Lieferung der Waren in einen anderen Mitgliedstaat zulässt. Das Steuersubjekt sollte sich in diesen Fällen der Gefahr bewusst werden, die im Falle einer nachfolgenden Steuerhinterziehung auftreten kann.

Das Modell eines sehr vereinfachten Karussell-Geschäfts kann mittels der folgenden Abbildung zusammengefasst werden.                                             

Die Situation, wenn der Lieferant (d. h. Subjekt 1) auf Wunsch des Abnehmers in gutem Glauben eine befreite Warenlieferung in einen anderen Mitgliedstaat ausgewiesen hat, kann dazu führen und führt oft dazu, dass der Abnehmer (Subjekt 2) für den Steuerverwalter eine Nichtkontaktperson wird. Der Steuerverwalter wird in diesen Fällen höchstwahrscheinlich eine Prüfung des Lieferanten (d.h. des Subjekts 1) einleiten und damit beginnen, oft ein sehr langwieriger Nachweis davon, dass alle Voraussetzungen der Befreiung bei der Warenlieferung in einen anderen Mitgliedstaat, so wie sie das MwSt.-Gesetz und die umfangreichen Rechtsprechung des Obersten Verwaltungsgericht und Europäischen Gerichtshof festlegt, erfüllt wurden. 

Diese Bedingungen können einfach in folgenden Punkten zusammengefasst werden:

  • Hat das Steuersubjekt alle gesetzlichen Verpflichtungen für die Geltendmachung der Befreiung bei der Warenlieferung in einen anderen Mitgliedstaat gemäß dem Gesetz über die Mehrwertsteuer erfüllt?
  • Wusste das Steuersubjekt oder sollte es über die Steuerhinterziehung wissen?
  • Hat das Steuersubjekt in gutem Glauben gehandelt?
  • Hat das Steuersubjekt alle Maßnahmen ergriffen, die vernünftigerweise von ihm gefordert werden können, um sicherzustellen, dass die Warenlieferung nicht zur Steuerhinterziehung führen wird?

Steuerhinterziehung aus der Sicht des Obersten Verwaltungsgerichts

Das Oberste Verwaltungsgericht hat sich bereits mehrmals geäußert, dass die bloße Vorlage von einwandfreien Steuerunterlagen und auch die Erfüllung der anderen formalen Voraussetzungen nicht immer unbedingt zum Ertragen der Beweislast ausreichen müssen. Im Zweifelsfall ist der Lieferant verpflichtet, weiterhin die Existenz des guten Glaubens darin zu beweisen, dass er durch sein Handeln nicht an einem Steuerbetrug teilgenommen hat (z.B. dass er im Rahmen seiner Geschäftstätigkeit ausreichende Maßnahmen zur Verhinderung der Gefahr einer möglichen Steuerhinterziehung ergriffen hat).

In diesem Zusammenhang, und nach der kontinuierlichen Rechtsprechung des EuGH, die festlegt, dass die Steuerhinterziehung auch bei Personen beigetrieben werden kann, die an einer Steuerhinterziehung teilgenommen haben, davon wussten oder wissen sollten, hat das Oberste Verwaltungsgericht einige Anforderungen festgelegt, die vom Steuersubjekt gefordert werden könnten, damit die Warenlieferung in einen anderen Mitgliedstaat, die nachfolgend ein Gegenstand der Steuerhinterziehung seitens des Abnehmers werden, als eine befreite Warenlieferung in einen anderen Mitgliedstaat betrachtet werden könnte.

Diese Anforderungen können, unter anderem, wie folgt sein:

  • Der Lieferant sollte den tatsächlichen Ort kennen (d.h. den Ort im anderen Mitgliedstaat), an den die Ware real transportiert werden soll;
  • Der Lieferant sollte die finanzielle Lage des Abnehmers kennen;
  • Der Lieferant sollte die im Namen des Abnehmers handelnde Personen überprüfen;
  • Der Lieferant sollte die Tätigkeit des Abnehmers überprüfen und den tatsächlichen Sitz seiner Leitung überprüfen (z.B., ob sich sein Sitz in einem sogenannten virtuellen Büro befindet);
  • Der Lieferant sollte die Gültigkeit der MwSt.-Identifikationsnummer des Abnehmers durch das VIES-System überprüfen;
  • Der Lieferant sollte die Gefahr der Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit der Art der gehandelten Waren überprüfen (z. B. Kraftstoffe, Mobiltelefone, Abfall und ähnliche Waren können öfters zur Steuerhinterziehung neigen).

Das Oberste Verwaltungsgericht hat daran erinnert, dass die bloße eidesstattliche Erklärung, aus der folgt, dass die Waren in einen anderen Mitgliedstaat befördert werden, nicht ausreichend dafür ist, dass ohne Weiteres die Befreiung bei der Warenlieferung in einen anderen Mitgliedstaat anerkannt werden könnte.

Im Falle einer Steuerhinterziehung sollte das Steuersubjekt bereit sein zu beweisen, dass es über den Betrug nichts wusste und nichts wissen konnte, und zwar im Anschluss an die oben genannten Anforderungen, die von ihm möglicherweise vernünftigerweise seitens des Steuerverwalters gefordert werden können. 

Wenn Sie verwirklichen/gegebenenfalls planen, eine Warenlieferungen in andere Mitgliedstaaten zu verwirklichen und Zweifel haben, ob Sie im Fall der Steuerhinterziehung in der Kette die Beweislast tragen können, können Sie sich an uns wenden. Wir helfen Ihnen gern Ihre spezifische Lage aus der Sicht der rechtlichen Formalitäten und Anforderungen, die das Oberste Verwaltungsgericht und der Europäische Gerichtshof eingeräumt haben, zu beurteilen.