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Ivan Fučík | September 26, 2017

Verbot der Doppelbestrafung wegen derselben Handlung im Steuer- und Strafrecht – die Weiterentwicklung der Rechtsprechung

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Wie wir versprochen haben, verfolgen wir die Entwicklung der Rechtsprechung in Bezug auf das Verbot der Doppelbestrafung weiter. Fast ein Jahr nach dem Erlass des Urteils des Obersten Verwaltungsgerichts vom 24.11.2015, AZ 4 Afs 210/2014-57, das den Rechtssatz aufgestellt hat:

"Zwangsgeld gemäß § 37 b des Gesetzes Nr. 337/1992 Sb., über Verwaltung von Steuern und Gebühren, in der vom 1. 1. 2007 bis 31.12.2010 gültigen Fassung und gemäß § 251 des Gesetzes Nr. 280/2009 Sb., Abgabenordnung, hat die Natur einer Strafe; es ist notwendig, darauf den Art. 40 Abs. 6 der Charta der Grundrechte und Grundfreiheiten und die Artikel 6 und 7 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Nr. 209/1992 Sb.) anzuwenden.“

hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg am 15.11.2016 im Fall „A and B v. Norway“ in den Rechtssachen Nr. 24130/11 und 29758/11 entschieden, und dadurch eine neue Ansicht darauf, ob eine Bestrafung, die von der Steuerverwaltung auferlegt wurde, eine Bestrafung gemäß dem Strafrecht verhindert. Eine Kurzfassung zu dieser Entscheidung hat das Justizministerium veröffentlicht. (nachfolgend Kurzfassung).

Nach der Kurzfassung hat die Steuerverwaltung in dieser Sache den Beschwerdeführern eine zusätzliche Steuer aus den nicht angegebenen Einnahmen bemessen, und sie hat die Steuer um ein Zwangsgeld in Höhe von 30 % erhöht, Weil sich die Beschwerdeführer nicht dagegen gewehrt haben, sind die Bescheide mit der zusätzlich bemessenen Steuer und der Geldbuße rechtskräftig geworden. Die Beschwerdeführer wurden nachfolgend auf der Grundlage der gleichen Sachverhalte im Gerichtsverfahren eines Steuerbetrugs schuldig befunden, und die Gerichte haben erklärt, dass sie bei der Bemessung der Strafe die auferlegte Geldbuße berücksichtigt haben. Beide Beschwerdeführer haben auf die Aufhebung der Strafverfolgung mit dem Hinweis auf den Grundsatz „ne bis in idem“ geklagt, das Oberste Verwaltungsgericht, das in der Sache in ersten Instanz entschieden hat, hat jedoch festgestellt, dass: "die steuerliche Geldbuße in der üblichen Höhe zwar im Sinne der sog. Engel-Kriterien eine strafrechtliche Beschuldigung für den Zweck der Doppelverfolgung darstellt, jedoch hat in Bezug auf den ausreichenden sachlichen und zeitlichen Zusammenhang zwischen der Bestrafung im steuerlichen und im strafrechtlichen Verfahren in dem jeweiligen Fall das Interesse am Schutz gegen die Belastung in Form eines neuen Verfahrens über das Interesse der Gewährleistung einer wirksamen Verfolgung nicht überwogen." Die Beschwerdeführer haben diese Schlussfolgerung nicht akzeptiert und haben den Fall zur Entscheidung dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vorgelegt.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in der Begründung seiner Entscheidung angeführt:

"Unter Berücksichtigung der Umstände der Fälle beider Beschwerdeführer ist der Gerichtshof zum Schluss gekommen, dass angesichts der Schlussfolgerungen des norwegischen Obersten Gerichts und angesichts der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs in ähnlichen Rechtssachen (z. B. Janosevic gegen Schweden, Nr. 34619/97, Urteil vom 23. Juli 2002, § 68–71; oder Lucky Dev gegen Schweden, Nr. 7356/10, Urteil vom 27. November 2014, §§ 6 und 51) die Auferlegung einer Geldbuße auf die Beschwerdeführer strafrechtlicher Natur war. Die Sachverhaltsumstände, die die Grundlage der steuerlichen Geldbuße und der Verurteilung im Strafverfahren bildeten, waren so ähnlich, dass sie die Anforderung der Gleichheit der verfolgten Handlung erfüllten. Zwischen dem Steuerverfahren und dem Strafverfahren gab es einen genügenden sachlichen und zeitlichen Zusammenhang, daher ist es nicht notwendig zu prüfen, ob in dem ersten Verfahren eine rechtskräftige Entscheidung vor der Beendigung des zweiten Verfahrens gefällt wurde. Das Verfahren wurde jedoch nicht aufgrund des Verbots im Artikel 4 des Protokolls Nr. 7 wiederholt, da jedes der Verfahren einen anderen Zweck verfolgte (das Ziel einer steuerlichen Geldbuße ist es insbesondere, die Steuerzahler zur ordnungsmäßigen Einhaltung deren Verpflichtung zur Vorlage von vollständigen und richtigen Informationen zur Bemessung der Steuer zu bewegen, wobei das Strafverfahren auch das Ziel der Repression verfolgt). Die Beschwerdeführer konnten das Führen eines kombinierten Verwaltungs- und Strafverfahrens annehmen, diese Verfahren wurden mehr oder weniger gleichzeitig geführt, wobei der zeitliche Zusammenhang beim zweiten Beschwerdeführer auch den Abstand von neun Monaten nach der Rechtskraft des steuerlichen Bescheids und des strafrechtlichen Urteils nicht beeinträchtigen konnte; sie waren durch die Verwendung der gewonnen Beweise verflochten, und die im Strafverfahren auferlegte Sanktion hat die vorherige steuerlichen Geldbuße berücksichtigt.

Der Artikel 4 des Protokolls Nr. 7 wurde daher bei keinem der Beschwerdeführer verletzt.

Aus der Begründung der Entscheidung folgt, dass das Steuersubjekt für die gleiche Tat sowohl nach den steuerlichen Gesetzen, als auch nach dem Strafrecht bestraft werden kann, da jedes der Verfahren einen anderen Zweck verfolgt und jedes verschiedene Aspekte der gleichen Handlung verfolgt (i). Beide Verfahren werden in Zusammenarbeit geführt, damit im höchstmöglichen Umfang die Wiederholung beim Zusammenbringen und Auswerten der Beweise erreicht wird (ii); beide Verfahren sind ausreichend zeitlich und sachlich verbunden (iii), und das letzte Verfahren sollte zum Schluss bei der Bestimmung der Sanktion die bereits verhängte Sanktion berücksichtigen (iv).

Die oben genannte Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte war so bedeutend und betraf sehr häufige Rechtsstreitigkeiten, daher musste die Gerichtspraxis in der Tschechischen Republik auf deren Anwendung lange warten, und sofort hat das Oberste Gericht der Tschechischen Republik - der große Senat - am 4.1.2017 in seinem Beschluss AZ 15 Tdo 832/2016 angeführt:

"Das Zwangsgeld gemäß dem Gesetz Nr. 280/2009 Sb., Abgabenordnung, in der Fassung späterer Vorschriften, das im Steuerverfahren für die Nichteinhaltung der Verpflichtungen der Erklärung seitens einer Verwaltungsbehörde auferlegt wurde, hat die Natur einer strafrechtlichen Sanktion, obwohl sui generis, daher muss darauf der Art. 4 Abs. 1 des Protokolls Nr. 7 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten angewendet werden.  Das Steuer- und Strafverfahren wegen der Tat, die darin bestand, dass die Nichteinhaltung der Verpflichtung zur Erklärung neben dem Zahlungsdelikt, der im Bereich Verwaltungsbestrafung bedeutend ist, auch die Merkmale einer Straftat der Verkürzung der Steuer, der Gebühr oder einer ähnlichen obligatorischen Zahlung gemäß § 240 des Strafgesetzbuchs erwies, sind Verfahren über eine identische Tat. Dies gilt dann, wenn das Subjekt dieser Straftat und das Steuersubjekt dieselbe natürliche Person ist (dazu vgl. Nr. 51/1997 Sb. rozh. tr.).

Eine rechtskräftige Entscheidung, mit der ein der gleichzeitig oder sukzessive geführten Steuer- oder Strafverfahren, die Verfahren strafrechtlicher Natur im Sinne der sog. Engel-Kriterien sind, beendet wird, bildet kein Hindernis einer Sache, in der mit Wirkungen ne bis in idem entschieden wurde, wenn zwischen dem Steuer- und dem Strafverfahren ein genügend enger sachlicher und zur gleichen Zeit auch ein zeitlicher Zusammenhang steht (siehe das Urteil der großen Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in der Sache A und B gegen Norwegen, Nr. 24130/11 und Nr. 29758/11, vom 15. 11. 2016, Punkte 132. und 134.).

Zu den relevanten Faktoren zur Bestimmung, ob es einen genügend engen sachlichen Zusammenhang gibt, gehören: ob die zwei getrennten Verfahren ein sich gegenseitig ergänzendes Ziel verfolgen, d.h. ob sie nicht nur in abstracto, sondern zur gleichen Zeit auch in concreto verschiedene Aspekte der jeweiligen gesetzeswidrigen Handlung betreffen, und zwar sowohl rechtlich, als auch effektiv; ob die jeweiligen Verfahren so geführt werden, dass im höchstmöglichen Maße die Wiederholung des Zusammenbringens und der Bewertung der Beweise verhindert werden, insbesondere mittels entsprechender Zusammenarbeit der zuständigen Behörden, dank der die Tatumstände nachweislich im zweiten Verfahren verwendet werden; und insbesondere, ob die Sanktion, die im Verfahren, das als erstes beendet wurde, verhängt wurde, in dem Verfahren, das als letztes beendet wurde, berücksichtigt wurde, mit dem Ziel, dass die betroffene Person letztlich keiner übermäßigen Belastung ausgesetzt wird. Dies bedeutet, dass im Rahmen der Individualisierung der Bestimmung der Strafsanktion die im Steuerverfahren verhängte Sanktion und deren Zahlung in Betracht genommen werden müssen. Das Gericht muss daher bei der Bestimmung der Art der Strafe und deren Höhe die rechtskräftige Entscheidung des Finanzamtes über die Verpflichtung zur Zahlung vom Zwangsgeld, das sich aus der zusätzlich bemessenen Steuer ergibt, berücksichtigen, und in der Begründung der Entscheidung muss es erklären, wie diese Tatsache berücksichtigt wurde.

Der zeitliche Zusammenhang muss genügend eng sein, damit er der betroffenen Person einen Schutz vor Unsicherheit, Verzögerung und Verlängerung des Verfahrens bieten konnte. Je schwächer der zeitliche Zusammenhang ist, desto größere Ansprüche müssen an die Aufklärung und an die Begründung der Verzögerung in der Führung des Verfahrens, für die der Staat die Verantwortung tragen kann, gelegt werden.

Von den weiteren aktuellen Beschlüssen aus der Praxis der Gerichte kann zu diesem Thema folgendes angeführt werden:

  • Das Oberste Gericht der Tschechischen Republik - die Kammer - hat am 23.2.2017 im Beschluss AZ 7 Tdo1068/2016 angeführt:

„Aus der Tatsache, dass das seitens des Finanzamtes auferlegte Zwangsgeld einer Person auferlegt wurde, die eine Steuer im kleineren Betrag als danach im Bescheid des Finanzamtes ordnungsgemäß bemessen wurde, angegeben hat, geht nicht hervor, dass die Strafverfolgung einer verurteilten Person, der Zwangsgeld auferlegt wurde, im Widerspruch mit der Bestimmung des Art. 4 des Protokolls Nr. 7 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten steht. Die Konvention verbietet nicht, dass die Verfahren, in deren Rahmen Strafen verhängt werden, in verschiedene Phasen aufgeteilt werden und dass in deren Rahmen schrittweise oder parallel verschiedene Sanktionen für gesetzeswidrige Handlungen strafrechtlicher Natur verhängt werden.

  • Zum Aspekt der Anwendung des Grundsatzes ne bis in idem hat das Oberste Gericht der Tschechischen Republik - die Kammer - am 28.2.2017 im Beschluss AZ 4 Tdo 764/2016 angeführt:

"Ein Steuerverfahren wird von einem Strafverfahren getrennt, jedoch beide diese Verfahren schließen unmittelbar aneinander an, und sie werden genügend integriert in ein Ganzes, sind konsistent und sie sind für den Angeschuldigten vorhersehbar. Daher führen sie nicht zu einem zwarhältnismäßigen Schaden für den Angeschuldigten. Beide Verfahren reagieren auf verschiedene Aspekte einer rechtswidrigen Handlung und ergänzen sich gegenseitig. Die Rechtsordnung ermöglicht in Bezug auf eine gesetzeswidrige Handlung die Führung von Parallelverfahren seitens verschiedener Behörden für verschiedene Zwecke.

  • Zum Aspekt der Anwendung des Grundsatzes ne bis in idem hat das Oberste Gericht der Tschechischen Republik - die Kammer am 28.2.2017 im Beschluss AZ 4 Tdo 43/2017 angeführt:

"Die Anwendung des Grundsatzes ne bis in idem in Bezug auf die strafrechtliche Verantwortlichkeit für die Straftat der Steuer-, Gebührenverkürzung oder Verkürzung einer ähnlichen Zahlung gemäß § 240 des Strafgesetzbuchs, im Falle des Zwangsgeldes gemäß § 37b des Gesetzes über die Verwaltung von Steuern und Gebühren bzw. gemäß § 251 der Abgabenordnung auferlegt, wird unter anderem auf die Bewertung der Natur der beiden Sanktionen, der Gleichheit der Tat (die idem-Bedingung) und des Doppelverfahrens (die bis Bedingung) gebunden. Im Rahmen der Bewertung des Hindernisses „ne bis in idem“ müssen sich die Strafverfolgungsbehörden mit der Frage befassen, ob zwischen dem Steuer- und dem Strafverfahren nicht nur ein genügend enger sachlicher Zusammenhang, sondern gleichzeitig auch ein zeitlicher Zusammenhang besteht. Dabei schließt die Tatsache an sich, dass das Steuer- und das Strafverfahren ab Anfang nicht parallel geführt wurden, keinen engen zeitlichen Zusammenhang beider Verfahren aus. Der sachliche Zusammenhang beider erwähnten Verfahren besteht in der gegenseitigen Verbundenheit des Steuer- und des Strafverfahrens, da die zuständige Steuerverwaltung gemäß § 8 Abs. 1 der Strafprozessordnung verpflichtet ist, dem Staatsanwalt oder der polizeilichen Behörde die Tatsachen, die auf die Verübung einer steuerlichen Straftat deuten, unverzüglich mitzuteilen.

  • Zur Straf- und Verwaltungssanktion für ein steuerliches Delikt hat das Oberste Gericht der Tschechischen Republik - die Kammer - am 28.2.2017 im Beschluss AZ 4 Tdo 1359/2016 angeführt:

„Im Rahmen der Individualisierung der Bestimmung der strafrechtlichen Sanktion ist es notwendig, die Sanktion, die im Steuerverfahren verhängt wird, und deren Zahlung zu berücksichtigen. Es ist daher wichtig, dass die Gerichte bei der Bestimmung der Art der Bestrafung und deren Höhe die Entscheidungen der zuständigen Steuerverwaltung (d. h. auch den zusätzlichen Zahlungsbescheid) über die Verpflichtung zur Zahlung des Zwangsgeldes aufgrund der zusätzlich bemessenen Steuer berücksichtigen und in der Begründung der Entscheidung erklären, wie diese Tatsache berücksichtigt wurde."

Zum Schluss kann festgestellt werden, dass sich im Laufe dieses Jahres die Gerichtspraxis grundlegend geändert hat, wenn zur Zeit der Bestrafung des Steuersubjekts für dieselbe Tat sowohl nach den steuerlichen Gesetzen, als auch nach dem Strafrecht zugestimmt wird und sie angewendet wird. Es mag scheinen, dass diese doppelte Bestrafung einmalig ist, da mehrere Bedingungen festgelegt wurden, die gleichzeitig erfüllt werden müssen, damit sie angewendet werden kann. Beim detaillierten Durchlesen und bei der Berücksichtigung der Auslegungen, die in der Praxis der Gerichte verwendet wird, kann jedoch der Schluss gezogen werden, dass sie nicht einmalig ist. Diese Bedingungen entsprechen den meisten laufenden Steuer- und Strafverfahren. Darüber hinaus ergibt sich die Erfüllung mancher Bedingungen aus der Einhaltung der Gesetze selbst, z. B. die Bedingung des sachlichen Zusammenhangs ergibt sich aus § 53 Abs. 3 der Abgabenordnung bzw. aus § 8 der Strafprozessordnung, wobei die Steuerverwaltung die Meldepflicht hat, wenn sie bei ihrer Tätigkeit Tatsachen feststellt, die darauf hindeuten, dass eine Straftat verübt wurde.

Die Richtung zur Doppelbestrafung für dieselbe Tat ist gegeben, wie lange werden wir auf den nächsten Schritt der gerichtlichen Praxis warten und wie wird es weiter gehen? Wir werden Sie weiterhin auf dem Laufenden halten.