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Marie Mandíková | February 13, 2024

Urteil des EuGH: Hat der Verbraucher auch mehrere Jahre nach Vertragsschluss das Recht, vom Vertrag zurückzutreten?

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Der Gerichtshof der Europäischen Union entschied am 21. Dezember 2023  in den verbundenen Fällen C‑38/21, C‑47/21 und C‑232/21; Gegenstand waren Anträge auf Entscheidung einer Vorfrage zum Leasingvertrag und zum Verbraucherschutz.

Kurze Zusammenfassung des rechtlichen Tatbestands und der Umstände der Streitigkeiten

Im vorliegenden Fall C-38/21 schloss der Verbraucher VK mit der BMW Bank (unter Nutzung von Fernkommunikationsmitteln) einen Leasingvertrag über ein für private Zwecke bestimmtes Kraftfahrzeug ab, ohne die Verpflichtung zu einem späteren Kauf.

Im Fall C‑232/21 geht es um vier Verbraucher, die mit der Volkswagen Bank und der Audi Bank Kreditverträge zum Kauf von Gebraucht-PKW für private Zwecke abgeschlossen haben.

Auch im Fall C‑47/21 befasste sich der Gerichtshof mit der Gewährung eines Darlehens für den Erwerb eines privaten Gebrauchtwagens. Dieser Vertrag wurde zwischen dem Verbraucher und der C. Bank geschlossen, wobei die Bank die Rückzahlung des Darlehens in sechzig Monatsraten und einer Schlusszahlung festgelegt hat.

In allen oben genannten Fällen sind die Verbraucher vom Vertrag zurückgetreten. Als Grund nannten sie die Tatsache, dass ihnen vom Händler keine ausreichenden, klaren und lesbaren Informationen und Pflichtdaten ordnungsgemäß zur Verfügung gestellt wurden. Sie behaupteten daher, dass die vierzehntägige Rücktrittsfrist nicht zu laufen begonnen habe, weil sie beim Vertragsschluss nicht ausreichend über ihre Rechte informiert worden seien. Allerdings halten Banken einen Widerruf/Rücktritt vom Vertrag mehrere Monate oder Jahre nach Gewährung des Darlehens/Kredits (in einem Fall sogar nach dessen Rückzahlung) für einen Rechtsmissbrauch.

Der Gerichtshof erinnerte daran, dass die EU-Richtlinie im Bereich des Verbraucherschutzes[1] auf der Prämisse der ungleichen Stellung des Unternehmers und des Verbrauchers beruht.
Der Verbraucher ist sowohl hinsichtlich der Verhandlungsmacht als auch hinsichtlich des Informationsstandes im Nachteil – er greift auf die vom Händler vorab erstellten Geschäftsbedingungen zu, ohne auf deren Inhalt Einfluss nehmen zu können.
Aus diesem Grund ist die Information über Vertragsbedingungen und die Folgen eines Vertragsabschlusses[2] für Verbraucher von grundlegender Bedeutung.

Artikel 10 der Richtlinie über Verbraucherkreditverträge enthält eine Liste grundlegender Informationen, die jeweils klar und prägnant im Kreditvertrag enthalten sein müssen.
Die Nichterfüllung der Informationspflicht des Händlers wird durch die Richtlinie[3] dadurch gestraft, dass die vierzehntägige Frist für den Rücktritt vom Vertrag für den Verbraucher erst mit dem Tag zu laufen beginnt, an dem er die betreffende Information erhält[4].

Wie sollte das Gericht jedoch die Situation beurteilen, wenn der Händler dem Verbraucher obligatorische Informationen bereitstellt, diese jedoch unvollständig oder fehlerhaft sind?
Der Gerichtshof gelangte zu dem Schluss, dass die Unvollständigkeit oder Unrichtigkeit von Informationen nur dann als Unterlassung der Bereitstellung von Informationen angesehen wird, wenn sie dazu führt, dass der Verbraucher sich hinsichtlich seiner Rechte und Pflichten irrt. Dies gilt also nur dann, wenn der Verbraucher zum Abschluss eines Vertrages verleitet wird, den er sonst nicht geschlossen hätte, wenn er über vollständige und richtige Informationen verfügt hätte[5]. Selbst wenn der Verbraucher in einer solchen Situation erst sehr lange nach Vertragsschluss vom Vertrag zurücktritt, kann dieser Rücktritt nicht als Rechtsmissbrauch angesehen werden[6].

Beim Abschluss eines Leasingvertrages über ein nach den Wünschen des Verbrauchers bestelltes Kraftfahrzeug ohne Verpflichtung zum anschließenden Erwerb des Fahrzeugs steht dem Verbraucher nach Auffassung des Gerichts jedoch kein Rücktrittsrecht zu.
Dabei spielt es keine Rolle, ob der Vertrag im Fernabsatz geschlossen wurde. Unter diesen Umständen handelt es sich aus rechtlicher Sicht um die Erbringung einer Dienstleistung betr. Fahrzeugmiete[7]. Wenn die Gesetzgebung es dem Verbraucher erlauben würde, vom Vertrag zurückzutreten, könnte dies für den Händler zu Schwierigkeiten bei der Wiederverwendung eines bestimmten Fahrzeugs zur Vermietung, zum Leasing oder vielleicht zum Verkauf führen. [8]

[1] Bei seiner Auslegung befasste sich der Gerichtshof hauptsächlich mit der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates 2002/65/EG vom 23. September 2002, über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen für Verbraucher und über die Änderung der Richtlinie des Rates 90/619/EWG und der Richtlinien 97/7/EG und 98/27/EG; und mit der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates 2008/48/EG vom 23. April 2008, über Verbraucherkreditverträge und die Aufhebung der Richtlinie des Rates 87/102/EWG; und mit der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates 2011/83/EU
vom 25. Oktober 2011, über Verbraucherrechte, womit die Richtlinie des Rates 93/13/EWG und die Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates 1999/44/EG geändert und die  Richtlinie des Rates 85/577/EWG und die Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates 97/7/EG aufgehoben werden

[2] siehe das Urteil des Gerichtshofs vom 21. Dezember 2023, betr. verbundene Fälle C‑38/21, C‑47/21
  und C‑232/21ECLI:EU:C:2023:1014, Pkt. 259-260

[3] 14 Abs. 1 des zweiten Unterabsatzes Buchst. b) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates 2008/48/EG vom 23. April 2008, über Verbraucherkreditverträge und die Aufhebung der Richtlinie des Rats 87/102/EWG

[4] siehe das Urteil des Gerichtshofs vom 21. Dezember 2023, betr. verbundene Fälle C‑38/21, C‑47/21
  und C‑232/21ECLI:EU:C:2023:1014, Pkt. 261

[5] ibidem, Pkt. 264

[6] ibidem, Pkt. 289

[7] ibidem, Pkt. 201

[8] ibidem, Pkt. 197-199