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Urteil des Gerichtshofs (EuGH) zu einem Tarif-/Kollektivvertrag, der die Entlohnung von Angestellten der Arbeitsvermittlungsagenturen gegenüber direkt beim Nutzer beschäftigten Arbeitnehmern reduziert

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Der Gerichtshof der Europäischen Union (im Folgenden „EuGH“) befasste sich in seinem Urteil vom 15. Dezember 2022 mit der Problematik von Tarifverträgen, die das Entgelt von Angestellten der Arbeitsagenturen im Vergleich zu den direkt beim Nutzer (Arbeitgeber) beschäftigten Arbeitnehmern reduzieren.

Im untersuchten Fall war eine Agenturmitarbeiterin dem Nutzer auf eine Arbeitsstelle im Einzelhandel zugeordnet. Gemäß dem Tarifvertrag zwischen der deutschen Gewerkschaft, derer Bestandteil auch die Arbeitsagentur war, und der Gewerkschaft der Dienstleistungsbeschäftigten, derer Mitglied gerade die Agenturarbeitnehmerin war, wurde ein Bruttostundenlohn der Arbeitnehmerin in Höhe von 9,23 EUR festgesetzt.

Der Tarifvertrag legte jedoch ein geringeres Entgelt fest, als das den Arbeitnehmern des Nutzers aufgrund des Tarifvertrags der Beschäftigten im Einzelhandel des Bundeslandes Bayern gewährte Entgelt in Höhe von 13,65 EUR. Dies verstoße, nach Angaben der Agenturmitarbeiterin, gegen den in der deutschen Rechtsordnung anerkannten Gleichbehandlungsgrundsatz.

Die Agenturarbeitnehmerin klagte daher beim zuständigen Arbeitsgericht und forderte eine zusätzliche Vergütung in einer Höhe, die der Lohndifferenz zwischen den Agenturarbeitnehmern und vergleichbaren, direkt beim Nutzer beschäftigten Arbeitnehmern entsprach.

Die Arbeitnehmerin berief sich insbesondere auf Verstoß gegen den im Artikel 5 der Richtlinie 2008/104/EG über Agenturbeschäftigung verankerten Grundsatz der Gleichbehandlung von Arbeitnehmern der Arbeitsvermittlungs- Agenturen. Die erwähnte Agenturbeschäftigungsrichtlinie erlaubt es jedoch, dass ein Tarifvertrag im Bereich der grundlegenden Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen vom Gleichbehandlungsgrundsatz abweicht, jedoch unter Wahrung des Gesamtschutzes der Arbeitsagenturarbeitnehmer.

Nach Abweisung der Klage in erster Instanz und im Berufungsverfahren legte die Agenturarbeitnehmerin ein Rechtsmittel beim Bundesarbeitsgericht ein, das dem EuGH mehrere Vorabfragen zur Auslegung der in Bezug genommenen Bestimmung der Agenturbeschäftigungsrichtlinie vorlegte.

Der EuGH hat sich damit zum Ziel gesetzt, die Voraussetzungen eines Tarifvertrags zu definieren, der in seinem Wortlaut vom Gleichbehandlungsgrundsatz der Arbeitsagenturmitarbeiter abweichen und den bislang unklaren Inhalt des Begriffs „vollständiger Schutz der Mitarbeiter von Arbeitsagenturen" näher zu konkretisieren.

Im vorliegenden Fall kam der EuGH zu dem Schluss, dass, wenn ein Tarifvertrag eine unterschiedliche Behandlung im Bereich der grundlegenden Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen zulässt (wie z.B. Bedingungen hinsichtlich Arbeitszeitdauer, Überstunden, Ruhezeiten, Vergütung etc. ) zulasten von Arbeitsagenturarbeitnehmern im Vergleich zu den Bedingungen für reguläre „Stamm“-Arbeitnehmer des Nutzers, ist der „Gesamtschutz“ dieser Agenturarbeitnehmer nur dann gewährleistet, wenn ihnen Vorteile/Leistungen gewährt werden, die die Auswirkungen dieser Ungleichbehandlung ausgleichen sollen.

Solche Ausgleichsleistungen müssen an grundlegende Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen geknüpft sein.

Somit haben die Mitarbeiter der Arbeitsagenturen grundsätzlich Anspruch auf die gleichen grundlegenden Arbeits- und Anstellungsbedingungen, die für sie gelten würden, wenn sie direkt beim Nutzer angestellt wären.
Die Einhaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes kann aber auch durch die Gewährung bestimmter Leistungen erreicht werden, die eine mögliche Ungleichbehandlung ausgleichen und damit dem Gesamtschutz der Arbeitnehmer/innen der Arbeitsagenturen erfüllt wird.

Bei Tarifvertragsverhandlungen sind daher aus Sicht des Arbeitgebers zunächst die grundlegenden Arbeits- und Anstellungsbedingungen festzulegen, die für die Arbeitnehmer der Arbeitsagenturen gelten, wenn der Nutzer sie direkt beschäftigen würde, und dann sind diese Arbeits- und Anstellungsbedingungen mit den Bedingungen abzugleichen, die sich aus dem für Arbeitnehmer der Arbeitsagenturen geltenden Tarifvertrag ergeben. Schließlich ist zu beurteilen, ob ev. gewährte Ausgleichsleistungen die unterschiedliche Behandlung ausgleichen, der die Agenturangestellten eventuell ausgesetzt sein können.

Das tschechische Arbeitsrecht geht die Frage der Arbeitsbedingungen von Agenturarbeitnehmern so an, dass die Arbeitsagentur und der Nutzer dafür zu sorgen haben, dass die Arbeits- und Lohnbedingungen des vorübergehend überlassenen Arbeitnehmers nicht schlechter sind als die Bedingungen eines vergleichbaren Arbeitnehmers des Nutzers. Das Arbeitsgesetzbuch stellt somit die Agenturarbeitnehmer den regulären Arbeitnehmern gleich, wenn vereinfacht gesagt die identischen Arbeitsbedingungen der Stammarbeitnehmer für Agenturangestellte gelten.

Die oben beschriebene Entscheidung des EuGH erinnert und spezifiziert somit die Möglichkeiten und insbesondere die Voraussetzungen, unter denen man bei der Gestaltung der Arbeitsbedingungen von Agenturarbeitnehmern vom Gleichbehandlungsgrundsatz abweichen kann. Die Entscheidung des EuGH eröffnet damit Raum für Überlegungen, dass es möglich ist, unterschiedliche Bedingungen für Leiharbeitnehmer auszuhandeln, jedoch mit der Bestimmung ausreichender Ausgleichsleistungen, die die Auswirkungen der Ungleichbehandlung ausgleichen werden, damit der Gesamtschutz der Arbeitnehmer/innen der Arbeitsagenturen erfüllt ist.

Autor: Veronika Odrobinová, Jessica Vaculíková