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| May 23, 2023

Überblick und Implikationen der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 27. April 2023 in der Rechtssache C-537/20

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Vor dem Bundesfinanzhof sind derzeit u.a. die Verfahren I R 1/20 und I R 2/20 über die europarechtliche Vereinbarkeit des § 11 Investmentsteuergesetz (InvStG) 2004 anhängig. Es stellt sich die Frage, ob eine Ungleichbehandlung im Hinblick auf den freien Kapitalverkehr vorliegt, wenn zum einen ein ausländischer Investmentfonds, der Dividenden von inländischen Aktiengesellschaften erhält und mit diesen Dividenden beschränkt steuerpflichtig ist, und zum anderen ein inländischer Investmentfonds nach § 11 Abs. 1 Satz 2 InvStG a.F. von der Steuer befreit ist. Es ist jedoch fraglich, ob diese Ungleichbehandlung durch Kohärenz und die Notwendigkeit einer ausgewogenen Verteilung der Besteuerungsbefugnisse gerechtfertigt ist. Die Vorinstanz des Hessischen Finanzgerichts (Urteile vom 21. August 2019) hatte die Ungleichbehandlung noch durch die Kohärenz des Steuersystems als gerechtfertigt gesehen.

So führte das Hessische Finanzgericht in seinen Leitsätzen zum Urteil v. 21. August 2019 - 4 K 999/17 EFG 2020 Seite 462 - aus, dass die unterschiedliche Behandlung ausländischer und inländischer Investmentfonds durch die Steuerfreistellung nur inländischer Investmentfonds nach § 11 Abs. 1 InvStG nicht europarechtswidrig sei. Ein europarechtswidriger Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit scheide aus, weil die vordergründige Ungleichbehandlung von in- und ausländischen Investmentfonds bei einer Gesamtbetrachtung dazu führe, dass die Regelung jedenfalls durch Kohärenz und auch wegen der Notwendigkeit zur Wahrung der ausgeglichenen Aufteilung der Steuerbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten gerechtfertigt sei. Es bestehe ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Besteuerung des Investmentfonds und des Anteilseigners; durch die Besteuerung auf der Ebene des Anteilseigners (Transparenzprinzip) werde die Nichtbesteuerung des inländischen Investmentfonds ausgeglichen. Eine Ungleichbehandlung bei der Steueranrechnung sei entsprechend dem Verhältnismäßigkeitsprinzip vorrangig durch eine europarechtskonforme Auslegung, hier des § 4 Absatz 2 InvStG auszugleichen.

Der EuGH hat die bis Ende 2017 geltende Besteuerung deutscher Immobilieneinkünfte in ausländischen Immobilienfonds für europarechtswidrig erklärt und in seinem Urteil vom 27. April 2023 entschieden, dass die unterschiedliche Behandlung von inländischen Spezialvermögen und ausländischen Investmentvermögen nach dem Investmentsteuergesetz 2004 nicht mit dem freien Kapitalverkehr vereinbar sei.

Hintergrund des Verfahrens (C 537/20) war, dass inländische Sondervermögen bis 2017 nach § 11 Abs. 1 S. 2 InvStG a. F. von der Körperschaftsteuer befreit waren und die Einkünfte beim Anleger besteuert wurden, während bei ausländischen Immobilienfonds deutsche Immobilieneinkünfte bereits auf Fondsebene steuerlich erfasst wurden.

Im Hinblick auf die Zulässigkeit der bis 2017 geltenden Verordnung wurde argumentiert, dass in beiden Fällen die von ausländischen Anlegern in Deutschland erzielten Einkünfte nur einmal besteuert wurden, wenn auch auf unterschiedlicher Ebene, nämlich auf Anlegerebene beim deutschen Spezialfonds, während sie bei ausländischen Immobilienfonds auf Fondsebene versteuert wurden. Aufgrund des Territorialitätsprinzips war Deutschland nicht in der Lage, ausländische Fonds auf Investorenebene zu besteuern.

Der EuGH hat jedoch einen europarechtswidrigen Nachteil gegenüber ausländischen Immobilien-Spezialfonds gesehen. Eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs liege vor, da nach dem Investmentsteuergesetz 2004 inländische Immobilien-Spezialfonds von der Körperschaftsteuer befreit seien, ausländische Fonds hingegen nicht. Diese Ungleichbehandlung war geeignet, gebietsfremde Immobilien-Spezialfonds davon abzuhalten, in die in Deutschland belegene Immobilien zu investieren und in Deutschland ansässige Anleger davon abzuhalten, gebietsfremde Immobilien-Spezialfonds für solche Investitionen zu nutzen. Insbesondere bei deutschen Anlegern ausländischer Immobilienfonds wurde der beschränkten Körperschaftsteuerpflicht dieser Fonds auf Anlegerebene eine zusätzliche Ertragsteuer hinzugefügt, die durch die bestehende Anrechnungsmöglichkeit nur unzureichend beseitigt wurde.

Auch die Ungleichbehandlung wurde nicht als gerechtfertigt angesehen. Insoweit führt der EuGH aus, dass es möglich gewesen wäre, die interne Kohärenz des Steuersystems zu wahren, wenn gebietsfremde Immobilien-Spezialfonds von der Körperschaftsteuer befreit worden wären, sofern die deutsche Steuerverwaltung unter Mitwirkung dieser Fonds sichergestellt hätte, dass die Anleger dieser Fonds eine Steuer entrichten, die derjenigen entspricht, der die Anleger eines gebietsansässigen Immobilien-Sondervermögens unterliegen.

Ein Mitgliedstaat, der sich dafür entscheide, die inländischen Einkünfte gebietsansässiger Fonds nicht zu besteuern, könne sich nicht auf die Notwendigkeit einer ausgewogenen Aufteilung der Steuerhoheit zwischen den Mitgliedstaaten berufen.

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Autoren: Melanie Gieseler melanie.gieseler@de.gt.com, Torsten Schrimpf torsten.schrimpf@de.gt.com